Zeitzeugen-Bericht von
Elisabeth Wellingerhof
Die Monatsrüste war zuende.
Wir hatten wie an jedem 1. Tag des Monats mit über 300
Jugendlichen im Halbkreis um den Altar des Schweriner Doms
gestanden, uns die Hände gereicht und gesungen "Herr, wir stehen
Hand in Hand", als unsere Jugendleiterin O.A. uns 17-jährige
Mädchen zusammenholte und uns erzählte: "Pastor Wellingerhof,
unser Landesjugendpastor, hat zum 1. Mal ein Sommerlager für
15-17jährige Jungen geplant, er hat 65 Anmeldungen und die
sowjetische Militärkommandantur hat es verboten. Ich bitte Euch,
betet für diese Freizeit, denn P.W. hält sie für so wichtig, daß
er sie auf alle Fälle durchziehen will."
Und wir haben gebetet -
vielleicht tat ich es mehr als die anderen - ich wußte noch
nicht, daß ich ein gutes Jahr später die Frau des
Landesjugendpastors sein würde - und die Sache ging gut.
Als ich meinen späteren Mann
dann fragte, ob er keine Angst gehabt hätte, schließlich gab es
noch Verbannung nach Sibirien oder andere schlimme Strafen,
meinte er, das sei sicher der Fall gewesen, aber das half
nichts. Freizeiten wären für ihn unverzichtbar für kirchliche
Jugendarbeit, da ging es ums Ganze.
Aber, ich
denke, ich erzähle der Reihe nach, so, wie ich es erlebt habe
oder wie mein Mann es mir erzählt hat.
Mein Mann
war vorher 6 Jahre Soldat gewesen, davon 4 Jahre Sanitäter in
Rußland. Er erzählte von endlosen Märschen bei sommerlicher
Hitze und bei minus 40 Grad Kälte. Er hatte viele Nächte in
Gräben und Bunkern, die unter Beschuß standen, verbracht, war
verwundet und in Todesgefahr gewesen. Er hatte es nicht fassen
können, daß er sich 1945 tatsächlich gesund in Hannover
wiederfand und schrieb seine Bewahrung der betenden Mutter zu.
Als der
mecklenburgische Landesbischof ihm 1946 schrieb und ihn bat, die
Jugendarbeit im Lande zu übernehmen, war dies für ihn der Ruf
Gottes. Er selbst war als Junge im Rostocker Schülerbibelkreis (B.K.)
gewesen, hatte während des Theologiestudiums einen Jugendkreis
dort geleitet, hatte nach dem Krieg ein Jahr lang die
Schülerarbeit in Hannover aufgebaut und wußte, wie wichtig die
kirchliche Arbeit mit und an der Jugend ist.
So kam er
heimlich über die Grenze in die damalige "Ostzone", die noch
geprägt war von dem Zusammenbruch und von Hunger und von
plötzlichen Verhaftungen durch die sowjetische Militärbehörde.
Der kirchlichen Jugendarbeit begegnete man mit großem Mißtrauen.
Ein Kommandant sagte einmal sehr böse: "Du sollst mit Jungen
beten, nicht baden", als es um eine Freizeit ging. Trotzdem
wollte mein Mann wirken "solange es geht".
Die erste
Unterkunft, die Schwerin ihm bieten konnte, war ein Lagerraum
der Bibelgesellschaft. Dort wurde eine Matratze auf einige
Bücher gelegt und etwas frei geräumt, der Raum aber war nicht
heizbar.
Später
wurde ihm ein möbliertes Zimmer von einem Sekretär angeboten,
der im Gericht arbeitete und auf Anfrage sogar bereit war, nach
Feierabend einige Schreibarbeiten für meinen Mann zu machen.
Es konnte
keiner ahnen, wieviel Schwierigkeiten dies mit sich bringen
sollte. Denn als Herr I. zwei Monate später, am 24.12.
vormittags zum Dienst ging, schloß man plötzlich hinter ihm ab.
Man bedrohte ihn und nötigte ihn, er solle den Landesjugenpastor
bespitzeln, täte er das nicht, könne er das Weihnachtsfest im
Zuchthaus verbringen. Ihm schien kein anderer Ausweg, als zu
unterschreiben. Zitternd erzählte er dies, trotz scharfen
Verbots, einige Tage später meinem Mann und fragte, was er tun
solle.
Beide
fanden einen Kompromiß: Mein Mann diktierte ihm wöchentlich
harmlose Briefe an irgendwelche Leute oder Gemeinden. Herr B.
nahm diese Texte auf neuen Blaubogen mit zum Dienst. Er wurde
dafür sehr gelobt und bekam monatlich einen Zentner Briketts
dafür, damals ein Vermögen, das sich beide teilten.
Mein Mann
hat mir diese Geschichte erst viele, viele Jahre später erzählt
und sagte dann: "Eigentlich konnte mir ja nichts besseres
passieren, als meinen Spitzel zu kennen." Trotzdem mußte er
regelmäßig beim sowjetischen Militärkommandanten erscheinen, um
über seine Arbeit zu berichten. Am liebsten wollte der ihm alle
Veranstaltungen verbieten, die nicht gottesdienstliche Formen
hatten. Mein Mann konnte dann an die Nazizeit erinnern und noch
Gestapovorladungen aus der Zeit der Bekennenden Kirche in
Rostock vorzeigen und ihn damit verunsichern. Wenn er nicht zu
diesen "Vorladungen" einen Lutherrock angezogen hätte, um auf
diese Weise an einen Popen zu erinnern, wäre er wohl als Mann
der Kirche gar nicht ernst genommen worden. Trotzdem machte er
völlig gelassen und fröhlich weiter: "Wirken, solange noch Zeit
ist."
Zunächst
war der Schwerpunkt seiner Arbeit, zumindest an den Wochentagen,
Schwerin. Er bat die Pastoren dort, in den Konfirmandenstunden
zum Jugendkreis einladen zu dürfen und hatte bald mehrere
Gruppen der 12-14jährigen, machte offene Abende für ältere
Jugendliche, Kreise für konfirmierte Jungen (Mädchen wurden in
fast jeder Gemeinde von Gemeindehelferinnen des Burckhardthauses
gesammelt), er übte Laienspiele ein und faßte alle Schweriner
Jugendarbeit zusammen in der Monatsrüste, die an jedem 1. des
Monats 19:00 Uhr stattfand.
Sonnabends
und Sonntags fuhr er mit dem Zug in Städte und Dörfer des
Landes; dort hielt er Jugendsonntage und machte durch Kinder-,
Jugend- und Gemeindeveranstaltungen Mut zur regelmäßigen Arbeit
mit der Jugend.
Ich muß
mich fast wundern, daß er bei aller Beanspruchung einen Termin
für unsere Hochzeit fand, die unter großer Beteiligung der
Jugend in der Schelfkirche stattfand.
Zehn Tage
danach fuhr ich als Köchin zu einer Freizeit mit. Ich hatte zwar
keine Ahnung, wie man und wieviel man für 40 Jungen kocht, aber
ich fand gute Beratung und vor allem Kartoffeln und Gemüse im
Pfarrhaus. Die Jungen halfen beim Schälen und Putzen, es machte
Spaß. Dies war eine besondere Rüstzeit. Es waren hierzu
konfirmierte Jungen aus ganz Mecklenburg eingeladen, die sich
mit dem Gedanken trugen, in den kirchlichen Dienst zu treten.
Sie kamen zweimal im Jahr meist in Dobbertin zusammen und waren
später unter dem Namen "Dobbertiner Bruderschaft" bekannt. Aus
diesem Kreis ging fast eine ganze Pastorengeneration in
Mecklenburg hervor.
Die zweite
Freizeit, die ich kennenlernte und die mich sehr beeindruckte,
war ein Zeltlager der 12-14 jährigen Jungen im Ostseebad
Graal-Müritz. "Die Kreuzfahrer", so hieß diese Elitegruppe,
hatten mich für einen Tag dorthin eingeladen. Ich fand die 35
Jungen mit meinem Mann 5 km vom Ort entfernt in den Dünen, am
Rande des Moores. Die Zelte waren einfach in den Sand gebaut, da
sparte man Luftmatrazen und Gummiboden (beides gab es noch
nicht). Kartoffeln kochten sie mit dem Salzwasser der Ostsee,
Kaffee mit Moorwasser, das durch ein Tuch gegossen wurde.
Bibelarbeit, der wichtigste Teil jeder Freizeit, fand hier im
Dünensand statt. Nachmittags spielten wir und machten Olympiade
am und im Wasser.
Die Jungs
hatten sich mir vorgestellt als "Mose" (er hatte keine Schuhe
zum Gottesdienst angezogen und sich dabei auf Mose berufen), "Kluten",
er mochte die Kluten so gern in der morgendlichen
Trockenmilchsuppe, "Obadja", er sagte gern das Wetter voraus, da
es nur selten stimmte, war er nur einer der kleinen Propheten.
Einer wurde gerade ausgelacht, er hatte den Einladezettel zur
Freizeit gut gelesen und Schuhputzzeug mitgebracht, war aber
barfuß angereist.
Abends,
als durch die Nähe des Moores die Mücken unerträglich wurden,
räucherten sie die Zelte kurz aus mit schwelenden Grassoden. Es
war eine tolle Stimmung hier. Ich wäre gern geblieben, aber ich
hatte andere Verpflichtungen und die Jungen brauchten keine
Köchin. Sie bereiteten ihr Mittag auf einem selbstgebauten Herd
(vier Ziegelsteine), den sie mit Kiefernzapfen, die man im Moor
reichlich fand, heizten.
Gern
erinnere ich mich an eine Abiturientenrüste. Hier schliefen 15
Jungen und 14 Mädchen in je einem Raum, in dem Stroh auf den
Boden geschüttet und gleichmäßig verteilt war. In der Mitte
blieb ein Gang. Die Morgenandachten gestalteten sie selber, bei
der Bibelarbeit waren rege Diskussionen. Als ein damals
bekannter Künstler, den mein Mann für einen Tag eingeladen
hatte, Mut zu eigenen Versuchen auf verschiedenen Gebieten der
Kunst gemacht hatte, entstanden durch einige Schüler
supermoderne Kunstwerke, die sehr witzig und geistreich auf der
"Gemäldeausstellung" vorgeführt wurden. Andere dachten sich
Sketche aus, von denen mir einer sehr im Gedächtnis blieb: Ein
Schüler stellte einen völlig unbeholfenen Vikar dar, andere
waren würdige Oberkirchenräte, die nach der theologischen
Prüfung völlig verzweifelt waren: was sollen wir mit dem nur
machen, den kann man doch keiner Gemeinde zumuten. Bis einer der
hohen Herren eine Idee hat: "Wir machen ihn zum
Landesjugendpastor, dafür reichts immer noch."
Kurz vor
der Hochzeit hatten wir eine Wohnung zugewiesen bekommen: Zwei
Mansardenzimmer mit Küchenbenutzung parterre. Wir waren
glücklich. Es machte uns nichts aus, daß unser kleines
Schlafzimmer, bestehend aus zwei Couchen, einem Schrank und
einer Kommode, von 8:00 bis 12:00 Uhr auch der Sekretärin als
Büro diente. Da wurde die Waschschüssel auf den Schrank gestellt
und mit der Schreibmaschine vertauscht. So einfach war das.
Als 1950
unser Sohn geboren wurde, mein Mann war natürlich gerade auf
einer Freizeit, bekamen wir eine tolle Dreizimmerwohnung mit
eigener Küche und eigenem Bad. Die eigene Küche war besonders
wichtig, denn die Hauptmieterin der vorigen hatte mir das
Windelkochen verboten. Hier hatten wir eine wunderschöne Zeit.
Die Angst um die Weiterführung der Jugendarbeit ließ uns zwar
nie ganz los, aber es war schön, daß zwei Jugenddiakone aus
Neinstedt und die Leiterin der Mädchenarbeit, Elisabeth Frahm,
im gleichen Haus wohnten. Wir hatten morgens gemeinsame Andacht,
die Reisen ins Land konnten abgestimmt und ausgewertet werden.
Alle waren
viel unterwegs, machten Jugendtreffen, Gemeinde- und
Elternabende und natürlich Freizeiten.
Mein Mann
legte dabei besonderen Wert auf die 12 - 14jährigen. "In diesem
Alter werden die Weichen für's Leben gestellt", sagte er. Als in
Schwerin die Jungscharkreise zu groß wurde, hielt er wöchentlich
einen Vorbereitungskreis mit 16 - 18jährigen Jungen, die dann zu
zweit einen Jungscharkreis leiteten.
Um auch im
Lande das Interesse für diese Arbeit mit dieser Altersgruppe zu
wecken, nahm er bei einem Schweriner Wochenendtreffen Dias auf,
Bilder von lustigen Szenen, Bibelarbeit und Singen. Er gewann
einen jungen Mann, der mit dem Fahrrad diese Diaserie auf den
Dörfern und in Städten den Konfirmanden und Jugendlichen zeigte
und dabei zu Freizeiten einlud. Im Jahr darauf konnten wir uns
nicht retten vor Anmeldungen. So mußten Mitarbeiter gewonnen und
geschult werden (wie oft lese ich im Tagebuch von damals: "Herr,
bitte schicke uns Mitarbeiter.") und Pastoren, die ihre
Konfirmandensäle für Jugendfreizeiten oder Wochenenden zur
Verfügung stellten.
Die Heime,
die nach und nach entstanden, (die Beschaffung der Bauplätze,
der Materialien und des Geldes dazu wäre ein eigenes langes
Kapitel) waren mehr "Barackstil" als Barock, aber es war Leben
da, tägliche Beschäftigung mit der Bibel und ausgelassene
Freude.
Uns alle
verband das Zeichen der Jungen Gemeinde, das Kreuz auf der
Weltkugel, das allen Jugendlichen, die ein Jahr zur "Jungen
Gemeinde" gehörten, verliehen wurde. Uns verbanden die Lieder,
die durch alle Kreise gingen, wie: "Es geht ein Wind zur Heide
... Gott weiß, was uns im Leide so stark und freudig macht."
Oder das Lied von R.A.Schröder "Es mag sein, daß alles fällt ...
halte Du den Glauben fest, daß Dich Gott nicht fallen läßt ..."
Unvergeßlich sind wohl für uns alle die Landesjugendtage mit
mehreren tausend Jugendlichen in Güstrow, die Mitarbeiterrüsten,
die Laienspiele, die sehr wichtig waren, weil es noch kein
Fernsehen gab, und die lustigen Lieder und Stücke und die
Verkleidungen dazu, die z.T. noch heute ihre Runde im Lande
machen.
Schlimm
wurde es im Sommer 1952. Viele Freizeiten wurden verboten,
andere trotz Angst vor Verhaftungen durchgezogen. Ich erinnere
mich noch sehr an eine Schülerinnenrüste, die mein Mann und ich
gemeinsam leiteten. Plötzlich erschien da eine Delegation, sah
sich in der Scheune, in der wir unser Nachtlager aufgeschlagen
hatten, um und löste kurzerhand die Freizeit wegen hygienischer
Mängel auf. Während mein Mann noch mit den Leuten verhandelte,
versuchte ich den Mädchen etwas vorzulesen. Haben sie gemerkt,
wie sehr mir die Hände zitterten? Wir haben dann alles Gepäck
auf ein Gefährt geladen und sind zu Fuß in ein anderes Dorf, das
in einem anderen Bezirk lag, gezogen und haben dort noch
wunderschöne Tage gehabt. Natürlich war dies ein glücklicher
Umstand und nicht immer möglich.
Viel
schlimmer wurde es, wenn Jugendliche nach der Freizeit aus der
Schulklasse geholt wurden und Rechenschaft geben sollten, was
sie auf einer staatsfeindlichen Veranstaltung zu suchen hätten.
Dies waren bisher nicht gehörte Töne, kam aber immer häufiger
vor, besonders im Jahr 1953.
Das Jahr
begann, wie schon seit mehreren Jahren, mit der großen
Mitarbeitertagung in Schwerin. Wir hatten über 300 Anmeldungen,
es waren genug Privatquartiere durch die Schweriner angeboten
worden. Alle freuten sich auf die gemeinsamen Tage. Schon am
Bahnhof aber begann die massive Behinderung. An jedem Ausgang
stand ein Volkspolizist mit Maschinenpistole; wenn sie ein
Zeichen der Jungen Gemeinde am Rockaufschlag eines Reisenden
sahen, bedrohten sie denjenigen, nahmen ihm den Ausweis ab und
schickten ihn nach Hause. Wenn nicht einige dabeigewesen wären,
die als kirchliche Mitarbeiter nicht erkannt waren, und gleich
auf die Bahnsteige liefen und den anderen rieten, die Zeichen
abzunehmen, hätten wir wohl kaum Leute zur Tagung gehabt. So
aber waren es noch fast 300 Leute.
Pastor
Johannes Busch aus Essen sagte bei der Begrüßung: "Haben wir
nicht einen mächtigen Herrn? Seine Gegner haben solche Angst vor
ihm, daß sie meinen, sie müssen mit Waffen gegen ihn vorgehen."
Zunächst aber durfte er gar nicht sprechen. Die Tagung war
verboten worden.
Was nun?
Sollten 300 Leute umsonst aus ganz Mecklenburg und woanders her
nach Schwerin gekommen sein? Ein Gottesdienst konnte nicht
verhindert werden. So verlegte mein Mann die
Begrüßungsveranstaltung in die Schelfkirche. Pastor Busch zog
einen Talar an und hielt seine Rede wie vorgesehen als Predigt.
Inzwischen verhandelten mein Mann und zwei Mitarbeiter mit den
staatlichen Stellen. Sie setzten es nach schwierigen
Verhandlungen durch, daß die Tagung stattfinden durfte, aber es
waren die ganze Zeit hindurch Mitarbeiter der Stasi dabei, die
sich mit Gewalt Eintritt verschafft hatten. Als ein Jugenddiakon
einem dieser Typen, der sich als Theologiestudent ausgab, den
Eintritt verweigerte, mußte er einige Tage später zur Polizei
und sollte Spitzeldienste leisten. Er ist die Nacht drauf über
die Grenze nach Westdeutschland gegangen mit Frau und kleinen
Kindern. Einige andere Mitarbeiter sind nach dieser Tagung
verhaftet und z.T. zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Von nun an
wurde es gefährlich, zur "Jungen Gemeinde" zu gehören. Täglich
standen Artikel in den Zeitungen, besonders in der FDJ-Zeitung
"Junge Welt", die über angebliche Spionagedienste von Gliedern
der Jungen Gemeinde berichteten. Es wurde immer wieder
behauptet, "Junge Gemeinde" hätte mit Kirche gar nichts zu tun,
es wäre eine gefährliche Spionageorganisation, vom Westen
gesteuert und unterstützt. Es wurde plötzlich gefährlich, das
Zeichen des Kugelkreuzes zu tragen, in der Schule wurde es
offiziell verboten. Anfang April wurden alle Oberschüler der
Stadt ohne Angabe eines Grundes nachmittags auf den Schweriner
Markt bestellt. Dort hielt der Direktor der Schule eine Rede,
beschuldigte alle Glieder der "Jungen Gemeinde" der Spionage und
forderte alle Schüler auf, die "Machenschaften dieser
Organisation" zu verurteilen, indem sie die Hand gegen sie
erheben. Ein Junge der 12. Klasse hatte das Zeichen angesteckt
und hob natürlich nicht die Hand, da wollten Mitschüler es ihm
abnehmen. Er aber hielt es mit aller Gewalt fest, bis ihn die
Leute zur Polizei schleppten. Es hat viele Kämpfe gekostet, ihn
wieder frei zu kriegen.
Einige
Tage darauf waren die Teilnehmer des Laienspielkreises in der
Paulskirche versammelt, um ein eingeübtes Passionsspiel der
Gemeinde vorzutragen, als ein Teil der Oberschüler, der, der
nachmittags Unterricht hatte (das wechselte jede Woche), kurz
vor Beginn des Spiels ihren Mitspielern mitteilten, daß sie ganz
plötzlich aus der Schule geflogen seien. Grund:
Spionageorganisation "Junge Gemeinde".
Das war
ein Schlag! Manche hatten gerade das schriftliche Abitur fertig.
Und nun - wer wird morgen früh dran sein und die Schule
verlassen müssen? - Doch die Jungen spielten trotzdem. Es hat
wohl selten ein Laienspiel die Gemeinde so berührt wie dies,
waren die Jungen dem leidenden Herrn doch so nahe.
Aber was
sollte werden? Wir merkten bald, daß dies nicht nur in Schwerin
passierte, sondern die Agentenbeschuldigung der Jungen Gemeinde
war DDR-weit. Konnten wir unsere Arbeit weitermachen -
Freizeiten - Jugendkreise - Jugendtage ? War es nicht zu
gefährlich? Oft waren wir ratlos.
Und dann -
wer konnte es fassen - kam der 10. Juni 1953; ich weiß es noch
wie heute: Ich saß mit Freunden zusammen, wir hatten seit Tagen
kein Radio gehört, als mein Mann in die Tür kam, die Zeitung
aufschlug und vorlas: "Allen Jugendlichen der "Jungen Gemeinde"
ist Unrecht geschehen, sie sind sofort wieder in den Schulen
aufzunehmen, die Abiturienten sind nachzuprüfen." Konnte das
möglich sein? Es war nicht zu fassen. Ein Wunder war geschehen,
ein großes Aufatmen begann.
Es war
dann eine wunderbare Sache, daß der ganze Laienspielkreis, der
noch als solcher regelmäßig zusammenkam, zum Hamburger
Kirchentag eingeladen wurde. Die Jungen haben dort eine
Sprechmotette dargeboten und den Kirchentagsbesuchern gesagt:
"Gott erhört Gebet, wir haben es erlebt. Er gibt uns Kraft um
des Glaubens willen Anfechtung und Druck zu ertragen und doch
getrost zu bleiben."
Für uns
folgten noch drei Jahre in der mecklenburgischen Jugendarbeit.
Äußerlich wurde vieles einfacher: Wir konnten ein Büro im Keller
ausbauen, mein Mann bekam ein Auto, die Heime wurden mit Betten
ausgestattet, die Zelte mit Luftmatrazen, aber die erste Zeit
bleibt unvergessen.
Eines aber
möchte ich noch erzählen: Im Jahre 1985, also dreißig Jahre
später, kurz vor seinem plötzlichem Tod, hat mein Mann noch
Mädchen und Jungen der 5. Klasse, die keine Christenlehre
hatten, eingeladen zu "biblischer Geschichte und spannender
Spielrunde". Er hat die Stunde nicht mehr halten können, aber es
macht deutlich, ihm war bis zuletzt das wichtigste Anliegen, die
biblische Botschaft jungen Menschen weiterzusagen.